Zur Polemik des Stefan Aust zur Zuwanderung Schutzsuchender – Faktenwidrig und gefährlich für eine sachliche Debatte
In der Online-Ausgabe der Zeitung “Die Welt” hat der Herausgeber Stefan Aust am 6. April 2023 einen Kommentar zur Zuwanderung Schutzsuchender nach Deutschland verfasst.
Als jemand, der sich normalerweise von politischen Kommentaren zum Thema Zuwanderung zurückhält, fühle ich mich angesichts des immer unsachlicher werdenden Tonfalls der Debatte veranlasst, ein paar Worte dieser jüngsten Polemik von Stefan Aust zu verlieren. In seinem Artikel überzieht Aust nicht nur mit seinen Behauptungen, sondern bedient sich auch einer rhetorischen Strategie, die auf Spaltung und Angstmache abzielt.
1. Falschbehauptungen und missverständliche Formulierungen bei Stefan Aust
Austs Artikel ist voller Falschbehauptungen und völlig missverständlichen Formulierungen. Keine Absicht von jemandem, der seit Jahrzehnten publizistisch tätig ist? Schauen wir uns Darstellungen im Artikel im Einzelnen an:
a. Stefan Aust zur Kriminalitätsrate
Stefan Aust behauptet, dass die Kriminalitätsrate infolge der Zuwanderung erheblich gestiegen sei. Studien des Bundeskriminalamts (BKA) zeigen jedoch, dass es keinen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität gibt. Die Kriminalitätsrate unter Zuwanderern ist sogar niedriger als unter der einheimischen Bevölkerung.
b. Austs Behauptung von einer Gefährlichkeit von Männern im “wehrfähigen Alter”
Stefan Aust stellt die Annahme auf, dass hauptsächlich Männer im “wehrfähigen Alter” gefährlich seien und ihre Anwesenheit in Deutschland zu einem Anstieg der Kriminalität führe. Diese Behauptung ist nicht nur diskriminierend, sondern ignoriert auch die Tatsache, dass derzeit hauptsächlich Frauen und Kinder aus der Ukraine flüchten. Wiederum sind acht von zehn der in Deutschland Schutz suchenden Menschen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
c. Austs Erfindung eines “sozial abgefederten Bleiberechts”
Aust behauptet, dass jeder Migrant in Deutschland de facto ein “sozial abgefedertes Bleiberecht” erhalte, sobald er das Wort “Asyl” nennt. Dies ist schlichtweg falsch, da jedes Schutzbegehren bezogen auf den Einzelfall geprüft wird und die Sozialleistungen während des Antragsverfahrens und nach einer Ablehnung gering sind – sie richten sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nicht, wie der Artikel suggeriert, nach den Regelungen zum Bürgergeld.
d. Stefan Aust über Schengen
Stefan Aust bezeichnet die Abschaffung der innereuropäischen Grenzen durch das Schengener Abkommen als eine der “großartigsten politischen Leistungen der letzten zwei Jahrtausende“. Er verkennt jedoch, dass vor dem Ersten Weltkrieg auf dem europäischen Kontinent keine Passkontrollen stattgefunden hatten; diese wurden erst mit dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Genauer: Ab dem 1. Januar 1868 war im damaligen Norddeutschen Bund, und später auch im Kaiserreich nach dem Passgesetz vom 12. Oktober 1867 (!) weder für Ausländer noch für Einheimische ein Pass oder ein Visum erforderlich. Dies galt auch für andere europäische Staaten. Erst mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges sah die Verordnung betreffend die vorübergehende Einführung der Paßpflicht eine – damals für den Ausnahme-, nämlich Kriegsfall, gedacht, eine Wiedereinführung von Passkontrollen vor.
Reisefreiheit und offene Grenzen sind in Europa, historisch betrachtet, der Normalzustand und nicht etwa “Errungenschaften”, die eine besondere politische Leistung darstellen.
e. Austs erfundener Asylanspruch
Aust schreibt, dass “jeder Bürger eines Staates, dessen System unseren demokratischen Kriterien nicht entspricht, prinzipiell einen Asylanspruch für sich reklamieren” könne. In Wirklichkeit muss eine individuelle Gefährdung vorliegen. In § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes ist für die Zuerkennung eines Schutzanspruchs geregelt:
Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
§ 3 Absatz 1 Asylgesetz
- aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
- außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Entgegen der Suggestion im Artikel von Stefan Aust genügt es also für einen Asylanspruch nicht, dass der Herkunftsstaat keine Demokratie ist. Es findet eine individuelle Prüfung der Lage aller einzelnen Antragstellenden statt.
f. Austs Behauptung, wonach Schutzsuchende illegal einreisen würden
Stefan Aust behauptet, dass “in manchen europäischen Ländern […] auch erwogen [wird], Antragstellern nach einer illegalen Einreise das Asylrecht zu entziehen“. Interessanterweise lässt er offen, was er unter einer “illegalen Einreise” versteht.
Die entsprechende Textpassage in Austs Kommentar verkennt jedenfalls, dass eine Einreise bei unverzüglicher Stellung eines Schutzgesuches nach der Genfer Flüchtlingskonvention eben nicht illegal ist. Sie ist “irregulär”, was aber etwas anderes bedeutet.
2. Unsachlicher und polemischer Tonfall von Stefan Aust
Stefan Austs Tonfall ist in vielen Passagen unsachlich und polemisch, was eine ernsthafte Debatte über das Thema erschwert. Hier einige Beispiele:
a) Herablassende Einstellung gegenüber Befürwortern einer offenen Gesellschaft
“Die unkontrollierte Zuwanderung, das war schon zur Zeit der Merkelschen ‘Refugees Welcome’-Politik klar, blendet die Realitäten der Gegenwart humanistisch verbrämt aus.“
Dieser Satz zeigt eine herablassende Einstellung gegenüber der humanitären Haltung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und denjenigen, die eine offene Gesellschaft befürworten. Er stellt zudem eine Verallgemeinerung dar und ignoriert die vielfältigen Maßnahmen und Anstrengungen, die in Deutschland unternommen wurden, um sowohl den Schutzbedürftigen zu helfen als auch die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Er stellt somit auch eine polemische Herablassung gegenüber Menschen dar, die sich dafür einsetzen, anderen Menschen Schutz zu gewähren.
b) Verbindung zwischen Migration und Rechtsextremismus
“Ein Konjunkturprogramm für Rechtsradikale“
Diese Formulierung ist polemisch und stellt eine ungerechtfertigte Verbindung zwischen der aktuellen Flüchtlingspolitik und einer angeblichen Stärkung von rechtsextremen Gruppierungen her. Derartige Behauptungen tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei, indem sie das komplexe Thema der Zuwanderung auf eine einfache Schwarz-Weiß-Darstellung reduzieren.
c) Schüren von sozialen Ängsten
“Ein Sozialstaat ohne Grenzen wird auf Dauer kein Sozialstaat mehr sein können“
Mit dieser Aussage suggeriert Stefan Aust, dass Deutschland als Sozialstaat zusammenbrechen werde, wenn es weiterhin Schutzsuchende aufnimmt. Diese Behauptung ist nicht nur irreführend, sondern auch gefährlich, da sie Ängste schürt und eine sachliche Diskussion über die tatsächlichen Herausforderungen und Lösungsansätze verhindert.
d) Pauschalisierung
Austs Artikel ist von einer pauschalisierenden Rhetorik geprägt, die komplexe Themen wie Zuwanderung und Kriminalität auf unzulässige Weise vereinfacht. Er stellt Zuwanderer und Asylbewerber in ein negatives Licht, indem er sie pauschal als potenzielle Kriminelle oder Nutznießer des Sozialstaats darstellt.
e) Verwendung emotionaler Begriffe
Stefan Aust verwendet emotional aufgeladene Begriffe wie “Sesam-öffne-Dich“, “Konjunkturprogramm für Rechtsradikale” oder “Überstrapazierung” in seinem Artikel, um seine Argumente zu untermauern. Diese Wortwahl trägt dazu bei, ein Bild von unkontrollierter Zuwanderung und einem angeblich überforderten Staat zu erzeugen, ohne auf die tatsächlichen Zusammenhänge und Fakten einzugehen.
f) Herablassende Behauptungen über künftige Ereignisse – Stefan Aust weiß es vorher?
Stefan Aust bezeichnet beispielsweise geplante Flüchtlingsgipfel als “geschwätzige” Veranstaltungen, ohne erkennbaren Veränderungsansatz. Diese abwertende Formulierung suggeriert, dass alle Bemühungen zur Lösung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Zuwanderung von Schutzsuchenden sinnlos und unwirksam seien.
g) Diskreditierung von politischen Akteuren
Aust stellt die Innenministerin Nancy Faeser und ihre politischen Positionen in Frage, indem er sie als blind für die “Realitäten der Gegenwart” darstellt und ihre Haltung als “humanistisch verbrämt” abtut. Diese Art der Kritik ist unsachlich und zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit der politischen Akteure zu untergraben.
3. Fazit
Was also auffällt, ist der unsachliche und polemische Tonfall von Austs Artikel. Er wirft der Regierung im Ergebnis Unvermögen und Kontrollverlust vor und behauptet, wer nicht seiner Meinung sei, blende “die Realitäten der Gegenwart humanistisch verbrämt aus“. Dabei verkürzt er die komplexe Thematik der Zuwanderung auf populistische Schlagworte und verhindert so eine ernsthafte und sachliche Diskussion.
In Anbetracht der Tatsache, dass viele der von Aust angeführten Behauptungen nachweislich falsch sind, ist es wichtig, den Diskurs um die Zuwanderung wieder auf eine sachliche Ebene zurückzuführen. Polemik und Falschinformationen schüren nur Ängste und Verunsicherung und tragen nicht dazu bei, konstruktive Lösungen zu entwickeln, um den Herausforderungen der Migration gerecht zu werden.
Statt pauschaler Verurteilungen und Angstmacherei brauchen wir eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Aspekte der Zuwanderung. Das beinhaltet sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimatländer zu verlassen. Darüber hinaus sollten wir uns auf erfolgreiche Integrationsmaßnahmen konzentrieren, um sicherzustellen, dass Zuwanderer zu einer Bereicherung für unsere Gesellschaft werden können.
Es ist unbestreitbar, dass die Zuwanderung Herausforderungen mit sich bringt, aber diese können nur durch eine sachliche, auf Fakten basierende Debatte bewältigt werden. Beiträge wie der von Stefan Aust, die durch polemische Rhetorik und Falschinformationen gekennzeichnet sind, vergiften den öffentlichen Diskurs und erschweren das Finden gemeinsamer Lösungen.
Als verantwortungsbewusste Bürger und Bürgerinnen sollten wir uns immer bemühen, uns mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen und unsere Meinungen auf soliden Fakten und überlegten Argumenten zu begründen. Nur so können wir uns vor den negativen Auswirkungen unsachlicher und polemischer Beiträge schützen und konstruktiv zur Gestaltung unserer Gesellschaft beitragen.
Abschließend bleibt zu hoffen, dass der öffentliche Diskurs über Zuwanderung und Integration wieder zu einem respektvollen und sachlichen Austausch zurückkehrt. Eine konstruktive Debatte, die auf Fakten und nicht auf Angstmache basiert, ist der einzige Weg, um die Herausforderungen der Migration erfolgreich zu bewältigen und eine gerechte, inklusive und zukunftsorientierte Gesellschaft zu schaffen.
Der Verfasser dieses Artikels ist Volljurist und seit Jahrzehnten Verfasser von Fachliteratur zu Migrationsthemen. Dieser Kommentar gibt ausschließlich die private Auffassung des Verfassers wieder.
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